Waterloo ist der Inbegriff der Niederlage schlechthin. Was für die Franzosen das Ende des napoleonischen Zeitalters markierte, war für den Rest Europas ein erster Vorgeschmack auf Allianzen der Zukunft – aber auch auf den Nationalismus des folgenden Jahrhunderts.
Das Ende der napoleonischen Kriege
Zwischen 1803 und 1815 eroberte der französische Feldherr und Kaiser Napoleon Bonaparte ganz Europa. Bis nach Ägypten und vor die Tore Moskaus führten ihn seine Feldzüge – und obwohl er nicht immer erfolgreich war, blieb er bis zum heutigen Tage ein Mythos in der Militärgeschichte. Für die Franzosen ist er eine ambivalente Figur, die viel Leid und Zerstörung, aber auch große Fortschritte im Bereich der bürgerlichen Zivilgesellschaft brachte. Noch heute gilt der Code Napoleon, die Basis des juristischen Systems, als eine unbestrittene Errungenschaft.
Sogar das deutsche Gegenstück, das BGB, geht auf den Einfluss des Franzosenkaisers zurück. Aber was genau passierte damals in Waterloo, das einer jüngeren Generation erst wieder durch den Hit der schwedischen Popgruppe ABBA zum Begriff wurde? Die belgische Ortschaft, die Schauplatz einer der wichtigsten Schlachten der europäischen Geschichte war, steht jedenfalls bis heute für die Niederlage Napoleons – und merkwürdigerweise weniger für den Sieg Wellingtons.
Die erste multinationale Streitmacht stellt sich in Waterloo zum Kampf
Wellington, der britische General, der mit der Aufgabe betraut war, den aus seinem ersten Exil auf der Insel Elba geflohenen Kaiser der Franzosen aufzuhalten, konnte nur zu einem geringen Teil auf britische Soldaten zurückgreifen. Tatsächlich kommandierte er wohl eine der ersten multinationalen Streitmächte, wie wir sie aus dem 20. Jahrhundert kennen. Und ob wir es glauben oder nicht: Sogar der Begriff der „United Nations“ entstammt jenen Tagen. Churchill griff ihn in einer Beschwörung des Zusammenhalts freier Völker während des Zweiten Weltkriegs erneut auf und verwies darauf, dass man einem Tyrannen durch vereinte Kräfte Einhalt gebieten konnte.
Die Armee Wellingtons bestand neben englischen Soldaten aus Truppen des niederländischen Königreichs (zu dem Belgien damals gehörte), aus Streitkräften verschiedener deutscher Herrschaftsgebiete wie Braunschweig sowie aus belgischen Truppen. Hinzu kamen die Preußen, die am Tage der Schlacht von Waterloo am Morgen des 18. Juni 1815 allerdings noch nicht vor Ort waren.
Video: Schlacht bei Waterloo (1815)
Blüchers Wettlauf nach Waterloo
General Blücher musste seine Soldaten erst von Osten her heranführen und befand sich damit in einem Wettlauf mit der Zeit. Konnte er es schaffen, die Engländer auf ihrer verwundbaren Flanke zu entlasten, bevor dem nahezu unbesiegbaren Bonaparte der Durchbruch gelang? Es stand einiges auf dem Spiel. Nach der Rückkehr aus seinem Exil sammelte er erneut Unterstützer und vor allem Truppen in seiner Heimat. Er konnte tatsächlich einen beträchtlichen Teil der Armee wieder unter seine Kontrolle bringen, die eigentlich dem neuen König Ludwig XVIII verpflichtet waren. Es war klar, dass die anderen europäischen Nationen diesem Affront nicht tatenlos zusehen und die Wiedereinsetzung des von ihnen favorisierten Königs verlangen würden. Also ergriff der Feldherr einmal mehr die Initiative.
Er konnte es sich nicht leisten, auf eine Übermacht aus preußischen und englischen Truppen zu warten, die auf Paris marschieren würden. Vielmehr wollte er ihnen zuvorkommen. Frankreich schickte seine Armee daher nach Belgien. Sollte es gelingen, das Königreich der Niederlande entscheidend zu schwächen, wäre ein politischer, geographischer und militärischer Keil zwischen die Briten und ihre Mitstreiter getrieben. Würde es Bonaparte gelingen, Brüssel zu erobern, hätte er gute Chancen auf eine Konsolidierung seiner Macht gehabt. London, Berlin, Wien und alle anderen Beteiligten waren sich darüber einig, dass man dem Kaiser der Franzosen nicht erneut erlauben durfte, seine Kräfte so weit zu sammeln, dass er abermals zu einer Bedrohung für diese Mächte werden würde.
Warum Waterloo?
Das Dorf Waterloo liegt rund 15 Kilometer südlich von Brüssel und bietet landschaftlich einige Voraussetzungen, die es zum Schlachtfeld prädestiniert haben. Für Wellington war Waterloo die beste Möglichkeit, die Franzosen so lange wie möglich aufzuhalten, um den Vorstoß nach Brüssel zu verhindern und zu hoffen, dass die preußischen Truppen unter Blücher noch rechtzeitig eintreffen würden. Für beide Seiten stand also viel auf dem Spiel, der Charakter einer Entscheidungsschlacht war allen Beteiligten bewusst. Vielleicht übernahm Bonaparte auch deshalb persönlich das Oberkommando, doch neben der Tatsache, dass seine Anwesenheit auf dem Schlachtfeld einem Mythos gleichkam, hatte er schlicht und einfach keinen Feldmarschall, dem er diese Verantwortung hätte übertragen können.
Der einzige, der von seiner alten Kommandeurstruppe geblieben war, der diese Fähigkeiten gehabt hätte, war mit der Verteidigung von Paris betraut. Die restlichen Generäle sahen sich entweder ihrem Eid gegenüber dem König verpflichtet oder verfügten schlicht nicht über die Erfahrung und die Fähigkeiten, eine solche Schlachtordnung zu führen. Im Verlaufe des Kampfes spürte Bonaparte, dass ein Mangel an fähigen Kommandeuren auf der taktischen Ebene zum Verhängnis werden könnte. Dennoch ließ er sich auf das Spiel ein, denn für ihn war es die einzige Möglichkeit, noch einmal zu alter Größe aufzusteigen.
Hat Napoleon den Sieg vor Waterloo verschenkt?
Am Morgen des 18. Juni 1815 sammelten sich die Truppen beider Seiten nach einigen Tagen der Verzögerungsgefechte durch die Alliierten in der Nähe von Waterloo. Tatsächlich gehen viele Historiker davon aus, dass Bonaparte den größten Fehler beging, als er am 17. Juni mit seiner Übermacht nicht nachsetzte und Wellingtons Truppen erdrückte, lange bevor die preußischen Soldaten eingreifen konnten. In der Nacht zuvor hatte es stark geregnet und die Sicht war auch am Morgen noch sehr schlecht, was die Aufklärungslage für beide Armeen erschwerte. Hinzu kam die Tatsache, dass das hügelige Gelände für Wellington gut zu verteidigen war und ein großes Gehöft auf halbem Wege die perfekte Verzögerungsstellung bildete. Napoleon hingegen musste erahnen, was Wellington vorhatte und außerdem die noch immer nicht aufgetauchten Preußen in die Gleichung einbeziehen. Waren sie bereits vor Ort und er wusste es nicht? Oder konnten sie Waterloo nicht mehr rechtzeitig erreichen, bevor Wellingtons Armee zerschlagen würde?
Die Alliierten sahen sich dem Problem gegenüber, dass die erfahrenen Veteranen der französischen Armee – insbesondere die Imperiale Garde – ihren eigenen Truppen sehr großen Respekt einflößten. Die Moral im Schlachtengetümmel nicht einbrechen zu lassen, war eine der größten Aufgaben für die Wellington und seine Verbündeten. Diejenigen Truppen unter seinem Kommando, die nicht aus neuen Rekruten bestanden, hatten in den vergangenen Jahren schon öfter den napoleonischen Soldaten gegenübergestanden und wussten, was auf sie zukam. Napoleon verschob den Angriff, der eigentlich für 9 Uhr geplant war. Angeblich geschah dies deshalb, damit die Kanonen der Artillerie sich auf dem durchnässten Boden besser bewegen konnten. So lautet zumindest die Legende.
Tatsächlich brachten sich viele der Truppen erst gegen 11 Uhr in Stellung und Fachleute gehen davon aus, dass es nicht am feuchten Erdreich lag, sondern an der Erschöpfung der Soldaten. Den Anfang machte der Franzose mit einem Scheinangriff, der Wellington dazu verleiten sollte, Truppen vom linken Flügel abzuziehen, um dann mit geballter Kraft an der Schwachstelle durchzubrechen. Wellington hingegen kümmerte sich gar nicht weiter um diesen Angriff, weil er darauf vertraute, dass das gut befestigte Gehöft lange genug gehalten werden konnte. Statt also die gegnerischen Truppen mit dem Scheinangriff zu binden, band Napoleon schließlich seine eigenen Verstärkungen an den Vorstoß auf das Gehöft. Diese Truppen fehlten ihm allerdings beim späteren Hauptangriff.
Die französische Kavallerie war gefürchtet wie der Teufel
Besonders verheerend wirkte sich die französische Kavallerie auf die Infanterie der Verteidiger aus. Bei einem Angriff dieser heute am ehesten mit der Panzertruppe zu vergleichenden Waffengattung, mähte sie derart viele von Wellingtons Soldaten nieder, dass er zu einer ungewöhnlichen, aber wirkungsvollen Taktik wechselte. Er ordnete an, dass die Infanterie sogenannte Karrees bilden sollte, die an ihren Außenseiten Gefallene und tote Pferde gegen den Feind aufwarfen. Im Zentrum der Karrees wurden alle Verwundeten quasi mitgezogen und gleichzeitig vor Feindbeschuss geschützt. Obwohl man mit einer solchen Formation nur defensiv agieren kann, genügte das Wellington, der ja nur Zeit kaufen und das Gehöft bis zum Eintreffen von Blücher halten wollte.
Tatsächlich gelang es den Franzosen nicht, auch nur einen erfolgreichen Angriff auf diese Karrees zu führen. Besonders kritisch war die Lage um den Hof von La Hye Sainte. Knapp 400 Mann der King’s German Legion trotzten dort verzweifelt den Franzosen, obwohl ihnen die Munition ausging. Auch als die Franzosen die Scheune, in der sich die Gegner verschanzt hatten, in Brand steckten, hielten die Truppen Wellingtons so lange aus, wie sie nur konnten. Am Ende mussten sie sich zurückziehen, doch vermutlich hat genau diese Verzögerung Napoleon den Sieg gekostet. Als er endlich das Gehöft passieren kann, schickt er alles los, was er noch hat. Vor allem seine Elitetruppe der Kaiserlichen Garde, die hauptsächlich aus Veteranen seiner Feldzüge bestand, galt als unbesiegbar.
Die Soldaten der Verbündeten Wellingtons bereiteten sich auf das Schlimmste vor, doch als die Franzosen unter starkes Artilleriefeuer der britischen Kanonen gerieten und realisierten, dass von Osten endlich die Truppen von Blücher eingetroffen waren, ergriffen sie die Flucht. Das hatte zwei Dinge zur Folge: Für die Soldaten der Alliierten war es wie ein Befreiungsschlag, dass die legendäre Imperiale Garde die Flucht ergriff. Von diesem Gefühl berauscht, setzten sie umso heftiger nach und jagten die Franzosen vor sich her. Für die französischen Truppen hingegen war es eine Katastrophe: Wenn sogar die Garde floh, wie sollte dann ein normaler Rekrut gegen den Feind bestehen? Die Auflösungserscheinungen konnte auch Bonaparte persönlich nicht mehr aufhalten.
Das Ende für den Kaiser kam nach Waterloo
Der geschlagene Kaiser zog sich zurück, geschützt von seinen verbliebenen Truppen. Die Preußen vereinigten sich mit ihren Verbündeten und noch heute sehen viele Militärhistoriker die Kooperation dieser europäischen Armeen als eine Art Vorläufer von NATO und UN. Ob man dieser Einschätzung nun folgen mag oder nicht; bemerkenswert ist tatsächlich die Vereinigung von Streitkräften vieler Nationen, um einen gemeinsamen Feind zu schlagen. Obwohl Bonaparte noch einmal nach Paris zurückkehrte, rückten am 7. Juli die Truppen von Wellington und Blücher in der französischen Hauptstadt ein. Damit war die Niederlage des Kaisers komplett, er wurde abermals in die Verbannung geschickt – diesmal jedoch nicht nach Elba, sondern auf die entlegene Atlantikinsel St. Helena, wo er einige Jahre später starb.
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